Paul Cézanne, Pfirsiche, Karaffe und Figur, um 1900Zurück

Paul Cézanne
Pfirsiche, Karaffe und Figur
um 1900

Öl auf Leinwand
60 x 73 cm
Museum Langmatt, Baden
Inv.-Nr. 123

 

Dunkel der Raum, schweigend die Figur, hinten links schwer erkennbar, umso leuchtender die Pfirsiche auf einer mit Blüten und Blättern wild gemusterten Tischdecke. Ein Teller Trauben noch, Glas und Karaffe in bedenklich instabiler Lage. Was Paul Cézanne in der Tradition der niederländischen Stilllebenmalerei locker und flirrend auf den Tisch zaubert, hat es in sich: Die Blüten und Blätter der Tischdecke entwickeln eine derartige Energie, dass sie zunächst fast lebendiger erscheinen als die Pfirsiche, das Hauptmotiv. Und das, obwohl sie doppelt weit von der Realität entfernt sind: Sie sind abgebildete Motive eines abgebildeten Tischtuchs. Da haben es die Pfirsiche leichter: zwar ebenfalls abgebildet, aber nicht als Teil eines abgebildeten Objekts.

Unabhängig vom jeweiligen Realitätsgrad ist fast alles, was in diesem Bild erscheint, in Bewegung begriffen. Und das in einem erstaunlichen Mass, zieht man die allenthalben weiss durchblitzende Grundierung der Leinwand hinzu, besonders auffällig im vorderen Teil der gemusterten Tischdecke, die immerhin fast ein Drittel des gesamten Bildes einnimmt und besonders dynamisch ins Auge sticht. Aber auch die Pfirsiche sind einerseits in sich lebendig, andererseits nur teilweise in halbwegs stabiler Lage in einem kleinen Gefäss gesichert. Von wegen nature morte, totes Leben, Stillleben – das Gegenteil ist der Fall: Zwar befindet man sich als Blüte, Blatt und Frucht in einem durchaus sinisteren Dunkel eines etwas muffeligen Zimmers – die ratlos dreinblickende, immobile Figur delegiert ihre Lebendigkeit und potenzielle Handlungsfähigkeit an die Akteure auf dem Tisch –, doch umso energetischer ist deren Auftritt. So springlebendig wie sie agieren, pulverisieren sie leichtfüssig die tradierte Vergänglichkeitsmetaphorik des klassischen Stilllebens und kehren unversehens wieder ins volle Leben zurück.

Es ist bezeichnend, ja geradezu paradigmatisch für ihre Sammelleidenschaft, dass sich Sidney und Jenny Brown ausgerechnet dieses Bild als erstes für ihre Sammlung französischer Impressionisten im November 1908 bei Ambroise Vollard in Paris aussuchten. Es reiste als erstes Werk von Paul Cézanne in die Schweiz. Das Unvollendete, Skizzenhafte des Bildes muss die Browns berührt haben. Und das, obwohl ihre Augen die malerisch- technische Perfektion der Münchner Sezession gewohnt waren, für die sie erst zwei Jahre zuvor ihre eindrückliche Galerie von Karl Moser als Anbau an die Villa errichten liessen. Vielleicht ist das dunkle Kolorit des Bildes noch eine Verbindung zu jenen grossformatigen Landschaften. Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, wie die Browns ihrer Intuition, ihrer Freude an Malerei folgten und sich nicht von «sicheren Werten» oder einem allgemein anerkannten Stil leiten liessen.

Markus Stegmann in: «Herzkammer», Museum Langmatt 2020