Pierre-Auguste Renoir, Die kleine Loge, um 1873/74Zurück

Pierre-Auguste Renoir
Die kleine Loge
Um 1873/74

Öl auf Leinwand
27 x 20,7 cm
Museum Langmatt, Baden
Inv.-Nr. 179

 

Nein, es kann nicht sein. Den beiden fallen ja fast die Augen zu, wenn sie nicht bereits geschlossen sind. Schwer legen sich Müdigkeit und Langeweile auf die Gesichter, und das, obwohl man im Theater sitzt, sich an diesem Abend aufgemacht hat, ausser Haus gegangen ist, etwas erleben wollte, ausgewählte Garderobe anlegte, erlesenen Schmuck, der geradezu dreidimensional hervorsticht. Und jetzt das: Erschöpfung, Schläfrigkeit, Last der Augenlider. Wer kennt diesen Moment nicht? Niemand wünscht ihn sich, und doch schlägt er manchmal zu. Man möchte sich wehren, aber es gelingt oft nicht. Lange im Voraus hat man das teure Ticket erworben, sich auf die Vorführung gefreut. Und nun, ratz, fatz und weg. Vielleicht liegt es nicht einmal an den Akteuren auf der Bühne, die sich wohl alle Mühe geben, um keine langweilige Vorstellung abzuliefern, im Gegenteil. Oder an den Regisseuren, Dramaturgen, Intendanten und wer sonst noch alles beteiligt ist. Wer will schon Müdigkeit verbreiten?

Vielleicht ist aber alles ganz anders, und wir haben nicht genau genug geschaut: Das Schauspiel hochspannend, unsere beiden Gäste in der Loge voll konzentriert und dann das: Ein kleiner Kitzel steigt urplötzlich in die Nase, heftiges Niesen droht, reflexhaft greift die Dame zum Taschentuch, fährt damit blitzschnell zur Nase, so schnell, dass Renoir diesen Moment gar nicht bannen konnte bzw. bannen wollte. Wie in einem Schnappschuss erleidet das hastig bewegte Tüchlein markante Unschärfe, während das Auge sich bereits zusammenzieht, die Lippen sich gerade öffnen, zu gross der Reiz des Niesens, das unmittelbar bevorsteht.

Was sagt der Text im Sammlungskatalog? Es sei ein Programmheft in den Händen der Frau. Und was sehen Sie?

Markus Stegmann in: «Herzkammer», Museum Langmatt 2020