Pierre-Auguste Renoir
Der Zopf
Um 1886/87
Öl auf Leinwand
57 x 47 cm
Museum Langmatt, Baden
Inv.-Nr. 182
Der Zopf: eines der beliebtesten Werke der Sammlung von Sidney und Jenny Brown, bewundert von vielen Besucher*innen der Langmatt, seit Jahrzehnten auf Postkarten überall hin verschickt, von den grossen Museen der Welt regelmässig als Leihgabe angefragt. Vielteiliges Blattwerk umfängt wie ein weitläufig ausgreifender, modisch aktueller Hut den Kopf der weiblichen Person, die versonnen ihren Zopf flicht, unbestimmt in den Vordergrund schauend, der Wirklichkeit für Momente entrückt.
Die Gesichtszüge sind in einem Masse naturalistisch ausgearbeitet, dass sie eine fast fotorealistische Präzision annehmen. Der Zopf ist ein Beispiel dafür, dass die Impressionisten sehr wohl technisch versiert malen konnten, aber es meistens nicht wollten. Gerade die realistische Genauigkeit, das Abbilden der Natur interessierte sie nicht. Denn dies war das Muster des zeitlich vorangegangenen Realismus, von welchem sie sich absetzen wollten. Ihre Faszination galt der Bewegung, dem Licht, der Veränderlichkeit in der Natur, der Leuchtkraft der Farben. Renoir befand sich zwischen 1883 und 1887, als dieses Bild entstand, in einer tiefen künstlerischen Krise. Schon früh hatte er begeistert den Weg des Impressionismus eingeschlagen und massgeblich die neue Malerei geprägt. Aus den 1870er-Jahren befinden sich eindrucksvolle Beispiele hierfür in der Sammlung von Sidney und Jenny Brown, z.B. Das Boot (um 1878) oder das Bildnis Paul Meunier (um 1877). Während er in diesen Werken die Blätter des Waldes oder die Haut des Jungen in ein bezauberndes Flirren tauchte, war nun plötzlich alles anders und ein mächtiger Zweifel am Impressionismus lähmte sein Schaffen. Renoir steckte jedoch nicht nur tief in einer künstlerischen, sondern auch in einer ökonomischen Krise. Da besann er sich auf die Malerei des Klassizismus, insbesondere auf jene von Ingres und auf dessen unterkühlte, messerscharfe Porträts zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Krise seiner Malerei bewältige Renoir, indem er sich die Tradition der Malerei vergegenwärtigte, um seinen eigenen Standpunkt neu zu entwickeln, was ihm kurz darauf mit einer überzeugten Rückkehr zur «Unschärfe» des Impressionismus eindrucksvoll gelang.
Doch nicht nur Rückbesinnung und Neubestimmung bilden den Hintergrund dieses Bildes, sondern auch eine aus heutiger Sicht überraschende Freiheit in der Abweichung vom Vorbild, ja in einer geradezu lustvoll «gesampelten» Genese einer idealen, fiktiven Figur. Das Porträt ist nichts anderes als ein liebevoller «Fake», um einen Begriff unserer Tage zu verwenden: Das Modell – die Künstlerin Susanne Valadon – war blond, blauäugig und hatte einen hellen Teint. Sie sass nicht in freier Natur Modell, sondern im Atelier. Aber Renoir schwebte etwas anderes vor: Er verwandelte sie kurzerhand mit dunklen Haaren, Haut und Augen zur gewünschten «Italienerin». Vielleicht lagen dabei auch kommerzielle Überlegungen nicht ganz fern: Die realistische Darstellung entsprach seinerzeit dem Publikumsgeschmack und versprach eine bessere Verkäuflichkeit als die damals unverstandenen impressionistischen Werke.
Markus Stegmann in: «Herzkammer», Museum Langmatt 2020