Pierre-Auguste Renoir, Auf der Insel Chatou, um 1879Zurück

Pierre-Auguste Renoir
Auf der Insel Chatou
Um 1879

Öl auf Leinwand
46 x 55,5 cm
Museum Langmatt, Baden
Inv.-Nr. 180

 

Wer möchte nicht gelegentlich ausbrechen aus dem Alltag, Ruhe suchen auf einer idyllischen Insel, weg vom Trubel, die Zeit vergessen, um zu träumen, während Wasser leise plätschert und sanfter Wind in Blättern und Ufergräsern raschelt? Wo möchte man lieber eintauchen, als in diese zauberhafte Natur, wie sie Renoir in seinem Bild magisch atmosphärisch vor Augen führt? Üppig wachsend und vielfarbig leuchtend flutet das Grün auf der Île Chatou vor den Toren von Paris urwaldartig opulent auf uns zu, verbindet sich fein versponnen mit Himmel und Wasser, erscheint aus der Nähe erstaunlich abstrakt.

Die beiden Figuren im Bild zeigen zwei unterschiedliche Möglichkeiten des Eintauchens in die Natur. Die weibliche Person – in feiner, wohl sonntäglicher Gewandung – ist uns zugewandt und scheint wie für eine Fotografie zu posieren. Aufrechte Haltung, die Hände vorteilhaft zusammengeführt, einnehmendes Lächeln, nicht ohne Stolz und Eitelkeit. Ganz anders die männliche Figur, die uns den Rücken zukehrt und sich am Ufer zu schaffen macht. Womöglich vertäut der Mann ein Boot, oder er fischt nach einem im Wasser versenkten Korb mit kühlen Getränken. Hier Augenblicke des Glücks und stolzer Pose in prächtiger Natur, dort arbeitssame Konzentration auf den Zweck, auf das, was es gerade zu erledigen gibt, ohne Wahrnehmung der Schönheit ringsum. Klischees natürlich, keine Frage, und zugleich Abbild des bürgerlichen Freizeitverhaltens im ausgehenden 19. Jahrhundert.

Renoir versteht es, die chamäleonhafte Vielfarbigkeit der Natur auf wundersame Weise aufleuchten und wie sanften Nebel virtuos über die Komposition streifen zu lassen. Natürlich, von heute aus betrachtet, können wir diese Schönheit nicht ganz ohne Kitschverdacht aufnehmen. Dennoch übertragen sich die atmosphärischen Wirkungen des Lichts, die scheinbare «Reinheit» der Natur, die befreiende Distanz von Grossstadt und gesellschaftlicher Norm auch heute noch als befreiende Energie auf uns, obwohl oder gerade weil wir in einem ganz anderen Zeitalter leben mit einer fast apokalyptischen Gefährdungslage der Natur, wie sie noch vor wenigen Jahrzehnten kaum für möglich gehalten wurde. Vielleicht mag man gerade darin den melancholischen Zauber dieses Bildes erkennen, jenseits seiner Klischees und süsslichen Anmutung.

Markus Stegmann in: «Herzkammer», Museum Langmatt 2020