Paul Cézanne, Landschaft in der Gegend von Pontoise, um 1875Zurück

Paul Cézanne
Landschaft in der Gegend von Pontoise
Um 1875

Öl auf Leinwand
60,3 × 73,2 cm
Museum Langmatt, Baden
Inv.-Nr. 116

 

Zwischen Stämmen, Bäumen und Gebüsch tritt aus einem lichten Wald schemenhaft ein Gebäude hervor, dessen Funktion und Standort offen bleiben. Der Bildtitel verweist auf die Nähe zu Pontoise, einer Kleinstadt unweit von Paris, wo sich Cézanne in dieser Zeit zum Malen gerne aufhielt. Die horizontalen Linien des Gebäudes, seine Flächen und die vertikalen Achsen diverser Bäume verleihen dem Bild sein tektonisches Gerüst. Dieses steht in einem markanten Gegensatz zum wilden Flackern unterschiedlichster Grüntöne, die ein vielfältiges Blattwerk bezeichnen. Sucht man beim Nähertreten das flatterhafte Gewölk auf bestimmte Pflanzen zurückzuführen – mit den Augen des Realismus der Farbe ihre traditionelle Funktion als Bezeichnung für konkrete Motive zuschreibend – wird man schon im Ansatz scheitern. Cézanne sprengt bereits in seinen frühen Arbeiten Konventionen der Malerei. Dies war wohl einer der Gründe, warum andere Künstler ihn vom ersten, legendären Salon der Impressionisten fernhalten wollten, der 1874 – also unmittelbar vor der Entstehung des Bildes – auf Initiative von Claude Monet in der Galerie des Fotografen Nadar in Paris stattfand. Es war Camille Pissarro, der für ihn eintrat, sodass er teilnehmen konnte. Diese Ausstellung verlieh im Übrigen dem Impressionismus seinen Namen: Der Kritiker Louis Leroy sprach angesichts des berühmten Bildes von Claude Monet Impression soleil levant (1872) im höchsten Masse abschätzig von «Impressionisten».

Was aber interessierte Cézanne, wenn nicht die «korrekte», also klar und deutlich wiedererkennbare Darstellung der Natur? Aus heutiger Sicht ist es nicht leicht, sich in die Zeit und vor allem in die Sehgewohnheiten der Epoche zurückzuversetzen. Allzu sehr sind wir an das subtile Flirren und die romantische Unschärfe der Impressionisten gewohnt, was längst in hohem Masse als ästhetisch wahrgenommen wird. Es muss die Zeitgenossen jedoch erschüttert haben, dass sie in Bildern wie diesem eine Welt in Fragmenten erlebten. Diese negative Sicht, die auf eine existentielle Irritation und Verunsicherung verweist, war jedoch nicht das Anliegen Cézannes. Er hatte entdeckt, wie durch die Befreiung der Farben von ihrer tradierten Funktion der exakten Motivbezeichnung eine ungeahnte Freiheit in die Bilder einzog. Plötzlich war der Weg für einen ganz neuen Begriff von Malerei frei. Zwar steht nach wie vor Grün für Blattwerk und Pflanzen, aber es erlaubt sich, Valeurs und Formen anzunehmen, die weit jenseits seiner konventionellen Rolle liegen. Eine Grenzüberschreitung. Cézanne formuliert in diesem Bild bereits die unabsehbaren Möglichkeiten der Farbe; zu jenem Zeitpunkt wohl selbst nicht ahnend, dass er damit der Moderne, beispielsweise dem Kubismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Türen öffnete. Hält man sich vor Augen, dass der Kunsthändler Ambroise Vollard erst 1895 in Paris – also 20 Jahre nach Entstehung dieses Bildes – die erste Einzelausstellung Cézannes präsentierte, ist die Diskrepanz zwischen Erfindungskraft und zeitgenössischer Wahrnehmung nochmals erstaunlicher.

Markus Stegmann in: «Herzkammer», Museum Langmatt 2020