Paul Cézanne, Früchte und Ingwertopf, um 1890 - 1893Zurück

Paul Cézanne
Früchte und Ingwertopf

Um 1890 - 1893

Öl auf Leinwand
33 x 46,5 cm
Museum Langmatt, Baden
Inv.-Nr. 121

 

Ein weiches, goldenes Licht verzaubert das Stillleben, beruhigt und rundet die Früchte und Objekte, die auf den ersten Blick ein wenig beliebig daliegen, auf den zweiten jedoch eine raffiniert ausgewogene Komposition bilden. Tischplatte und Krug verleihen dem Ensemble eine gewisse Stabilität, die jedoch das auffallend gefaltete, weisse Tuch gleich wieder infrage stellt. Links bauscht es sich hart und kantig auf, rechts bringt es den Teller mit dem grossen Apfel in Schieflage, beidseits hängt es unaufgeräumt mit beträchtlichem Gewicht unabsehbar weit herab und reisst fast noch den mittig platzierten, goldenen Apfel mit sich. Den diagonal verlaufenden Falten des Tuchs entsprechen rechts oben diagonal sortierte Bestandteile der Innenausstattung. Rein kompositorisch treten Elemente der Ruhe mit solchen der Bewegung in spannungsvolle Dialoge. Über allem aber liegt der besondere Zauber eines fast übernatürlichen Lichts, das die Szene weich und warm illuminiert, als trage das Ensemble ein inneres Leuchten in sich. Besonders auffällig verhält sich das leuchtend-helle Weiss mit seinen erstaunlich farbigen Valeurs, das zwar noch ein Tuch bezeichnet, sich aber bereits auf den Weg gemacht hat zu einer eigenständigen, ungegenständlichen Form. Die Farbe ringt mit der Form, das Motiv mit seiner Auflösung. Dieser widerständigen Energie des Tuchs stehen die geschmeidigen, weichen Früchte gegenüber. Apfel und Birne ganz rechts kontrastieren mit ihrer auffälligen, skizzenhaften Flächigkeit mit den anderen Früchten des Bildes und verweisen bereits auf die zunehmende Abstraktion in der weiteren Arbeit des Künstlers.

Die Tradition der europäischen Stilllebenmalerei sah seit der grossartigen Epoche des 16. und 17. Jahrhunderts in den Niederlanden in diesem Genre eine variantenreiche Metapher für Vergänglichkeit. Zu den in prächtiger Blüte stehenden Blumen gehören wie selbstverständlich die welkenden, zu den Früchten in voller Reife jene, die bereits bedenklich Schimmel angesetzt haben. Werden und Vergehen, der ewige Kreislauf des Lebens, ein Sinnbild für die menschliche Existenz. Doch von dieser Symbolik setzt sich Cézanne entschieden ab. Das Stillleben hatte für ihn den praktischen Vorteil, dass es im Atelier schnell zusammengebaut werden konnte und als Ausgangspunkt diente, um etwas ganz anderes herauszufinden: Der Künstler war auf der Suche nach dem Eigenleben von Farbe und Form. So zeigt dieses Bild die wirkungsvolle Anwendung des Komplementärkontrasts: Grün und Rot, Blau und Dunkelgelb steigern sich wechselseitig. Oder den analytischen Blick auf die Struktur der Natur: Äpfel und Birnen sind in ihrem Realitätsgrad erheblich reduziert: Nicht die naturalistische Wiedergabe der Oberfläche oder der Details der Blätter ist entscheidend, sondern das Eigenleben der Farbe, die teilweise erstaunlich flächig auftritt, obwohl sie traditionell eine kugelige Apfelform beschreiben sollte.

Markus Stegmann in: «Herzkammer», Museum Langmatt 2020