Paul Cézanne, Badende, um 1895/96Zurück

Paul Cézanne
Badende
Um 1895/96

Öl auf Leinwand
28,5 x 51 cm
Museum Langmatt, Baden
Inv.-Nr. 122

 

Wir leben in Zeiten, in denen es problematisch sein kann, über Nacktheit zu schreiben, über Nacktheit in Bildern, wenn diese öffentlich zugänglich sind, zumal wenn es sich um weibliche Körper handelt und ein männlicher Mensch diese Nacktheit betrachtet. Das Verhältnis der Geschlechter ist kompliziert geworden, was bekanntlich seine guten Gründe hat. Zu Zeiten von Paul Cézanne war das vollständig anders und die Thematik der Nacktheit in Gestalt des (weiblichen) Aktes ein Genre mit jahrhundertealter Tradition, zurückgehend bis ins frühe 16. Jahrhundert zu Lucas Cranach d. Ä. oder Tizian, denkt man beispielsweise an dessen Venus von Urbino (1538). Allerdings hat sich Cézanne von dieser allegorischen Auffassung des weiblichen Körpers weit entfernt und auch von jener des 19. Jahrhunderts, die den Akt schrittweise säkularisierte und in den Lebensalltag «herabholte».

Bei den Badenden nimmt uns Cézanne bezeichnenderweise mit hinaus in die Natur, die mit rhythmischen Pinselstrichen in wilde Bewegung versetzt ist. Einige der Dargestellten kehren uns den Rücken zu, und die Personen, deren Gesichter wir erkennen könnten, hat Cézanne durch flächige Farbe gewissermassen «anonymisiert». Ihre Individualität ist für ihn unwichtig. Ob stehend, am Boden sitzend oder sich gerade erhebend, die meisten Figuren blicken gebannt nach links in die Tiefe des Bildes, als würde dort etwas Erstaunliches geschehen, das uns freilich verborgen bleibt. Es scheint, als habe Paul Cézanne alle Körperdetails, die für eine erotische Spannung sorgen könnten, schematisiert, abstrahiert und in einen vibrierenden Rhythmus aus Farbe und Form überführt. Haare, Rücken, Arme und Beine fügen sich in das Farb- und Formgewebe der Natur ein. Die Skizzenhaftigkeit der Figuren betont deren Fragilität und Verletzlichkeit. Das eine oder andere Tuch ist am Boden zu erahnen, auch ein Körbchen und ein dösender Hund, aber das Gewässer, das in der Bildmitte unweit zum Bade lockt, hat sich fast vollständig in den Blauwerten des Bildes aufgelöst. Natürlich ist richtig, dass es sich bei diesem Werk um eine Studie handelt für ein wesentlich grösseres Bild, das sich heute in der Barnes Foundation in Pennsylvania befindet. Allerdings zeigt die Studie eine sorgfältige Durcharbeitung und geht somit über eine Skizze deutlich hinaus.

Indem Cézanne ein hohes Mass an Abstraktion walten lässt, entrückt er die Badenden der profanen Wirklichkeit, überführt sie in ein tagträumendes Arkadien, schenkt unserer Sehnsucht nach einer Verschmelzung mit der Natur weiten Raum. Und mit ihren Kleidern haben die Badenden ihre banale Alltäglichkeit und – bildlich gesprochen – ihre Schuld abgelegt, um in einen paradiesischen Zustand der Unschuld zurückzukehren: Aus heutiger Sicht ist diese Studie in ihrer Unbeschwertheit, lebhaften Rhythmisierung und unprätentiösen Abstraktion luzider und «weitsichtiger» als das sorgfältig ausgeführte, grossformatige Gemälde, das stärker wieder den nackten, weiblichen Körper ins Zentrum rückt.

Markus Stegmann in: «Herzkammer», Museum Langmatt 2020