Eugène Boudin, Wäscherinnen am Ufer der Touques, 1895Zurück

Eugène Boudin
Wäscherinnen am Ufer der Touques
1895

Öl auf Holz
24 x 35 cm
Museum Langmatt, Baden
Inv.-Nr. 106

 

Da sitzen die Frauen dicht an dicht, vertieft ins Waschen, uns den Rücken zugewandt, am Ufer der Touques, die unweit ins Meer mündet. Im Hintergrund lassen sich rauchende Schlöte der aufkommenden Industrie von Trouville erkennen. Verschiedentlich sind Industriegebäude Themen impressionistischer Bilder. Das berühmte Gemälde Impression, Soleil levant von Claude Monet (1872, Musée Marmottan Monet, Paris), das der neuen Malerei unfreiwillig den Namen gab, zeigt beispielsweise die Hafenanlage des nur wenige Kilometer nördlich von Trouville befindlichen Le Havre mit Kränen und Schornsteinen bei Sonnenaufgang.

So genau möchte man die Qualität des Flusswassers lieber nicht überprüfen. Niemand weiss genau, was seinerzeit die rapide fortschreitende Industrialisierung in die Flüsse spülte. Die hygienischen Verhältnisse waren damals vollkommen anders. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelangen Louis Pasteur in Paris und Robert Koch in Deutschland bahnbrechende Entdeckungen im Bereich Bakteriologie, Mikrobiologie und Hygiene. 1876 beschrieb Robert Koch erstmals den Erreger des Milzbrands, 1882 entdeckte er den Erreger der Tuberkulose, 1905 erhielt er den Nobelpreis für Medizin. Seinem Rivalen Louis Pasteur gelang 1881 die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Milzbrand und 1884 gegen Tollwut. Das Interesse der Öffentlichkeit war enorm. 1911 wurde die erste Internationale Hygiene-Ausstellung in Dresden von unglaublichen 5,2 Millionen Menschen besucht.

Doch der triste Alltag der Wäscherinnen blieb von diesen historischen Entwicklungen unberührt. Es muss eine harte Realität gewesen sein, am schlammigen Ufer, im seichten Wasser die Wäsche zu waschen, die schweren Körbe zuerst hin- und dann, durch das Wasser noch schwerer geworden, wieder zurückzutragen. Auch wenn wir nicht viel von den Frauen erfahren, ihre Gesichter sind uns abgewandt, berührt die Betrachtung Boudins. Den Namenlosen setzt er mit seinem kleinformatigen Bild ein stilles Denkmal. Gut möglich, dass sie – in ihre Arbeit vertieft – gar nicht bemerkten, dass in ihrem Rücken ein Künstler skizzierte. Boudin hat dieses Motiv bereits 1878 gemalt, gefolgt von verschiedenen Varianten während der nächsten Jahrzehnte. Zum Zeitpunkt der Entstehung des Bildes 1895 war Boudin bereits 71 Jahre alt und konnte – kurz vor seinem Tod 1898 – aus gesundheitlichen Gründen nur noch selten nach draussen vor die Motive gehen. Doch allein 1895 entstanden im Atelier nicht weniger als sieben Fassungen dieser Ansicht nach früheren Bildern. Dies zeigt, dass die Wäscherinnen den Künstler für längere Zeit intensiv beschäftigten.

Die Wäscherinnen schrieben Sammlungsgeschichte: 1896 legten Jenny und Sidney Brown mit dem Kauf dieses Bildes und einer Landschaft von Paul-Désiré Trouillebert auf ihrer Hochzeitsreise nach Paris den Grundstein für ihre herausragende Impressionistensammlung, die ab 1908 in schneller Folge Gestalt annehmen sollte.

Markus Stegmann in: «Herzkammer», Museum Langmatt 2020