Claude Monet, Eisschollen im Dämmerlicht, 1893Zurück

Claude Monet
Eisschollen im Dämmerlicht
1893

Öl auf Leinwand
60 x 99,7 cm
Museum Langmatt, Baden
Inv.-Nr. 154

Weit gespannt wie ein See liegt sie da, die Seine, still und ruhig, unweit von Giverny, wo Monet seit 1890 wohnte. Es ist Januar, das Eis bricht auf. Hoher Wasserstand und Eisgang verwüsten die Ufer. Gärten gehen unter, Schaden entsteht, Wasser und Eis reissen mit sich, was sie fassen können. Vom ungefähr gleichen Standort aus malte Monet zwölf Fassungen dieses Motivs. Aber keine Spur vom Drama der Natur, nicht die geringste. Offensichtlich interessierte sich Monet nicht für die Naturkatastrophe, die er leicht hätte zeigen können, die als Spektakel und aussergewöhnliches Bildmotiv geradezu auf der Hand lag.

In der versammelten Ruhe aus Wasser und Eis, Hügel und Himmel, Licht und spiegelnden Reflexionen sitzt aus der Ferne betrachtet ein kleines Wäldchen, ein Hain. Vielleicht ist das schon zu viel gesagt, eher eine Baumgruppe, ein struppiges Gebüsch. Das kahle Gehölz verleiht dem Eis und Lichtreflexionen abtastenden Blick Halt, vermittelt zwischen Wasser, Hügel und Himmel. Beim Nähertreten jedoch entpuppt es sich als erstaunlich nervös flirrendes Linienbündel. Von wegen Bäume oder Gebüsch. Das Gebilde wurde mit energetischen Pinselstrichen unsanft aufgetragen und steht in seiner wirbelnden Dynamik ganz im Gegensatz zum ruhigen Strömen der Seine, die fast zum Stillstand gekommen scheint.

Warum nur diese Nervosität, diese Unrast, dieses Bündel unleidiger Striche? Bäume mag man aus der Nähe beim besten Willen keine erkennen. Also nehmen wir die Unrast, wie sie ist, lassen gewähren, was sie ausmacht, und beobachten, was sie auslöst: Einmal mehr ein Staunen über die malerische Entfernung der Impressionisten von der Natur, die ihnen so wichtig war, über ihre bemerkenswerte Abstraktion. Das betrifft auch die Eisschollen, die in ihrem reichen, farbigen Funkeln die späteren Seerosen bereits vorwegnehmen. Und wenn der Wirbel des Gehölzes zu gewaltig zu werden droht, genügen einige Schritte zurück. Dann wandelt sich das hektische Bündel wieder in eine Gruppe bedächtiger Bäume.

Oder waren in einer unbeaufsichtigten Minute die drei Söhne der Browns am Werk, eine Bildübermalung avant la lettre, Jahrzehnte vor Arnulf Rainer? Das Bild gelangte 1910 in die Sammlung, damals waren Sidney jr., John und Harry 12, 10 und 5 Jahre alt… Bestes Lausbubenalter.

Markus Stegmann in: «Herzkammer», Museum Langmatt 2020