Camille Corot, Ariccia, 1826/27Zurück

Camille Corot
Ariccia, der Chigi Palast
1826/27

Öl auf Papier auf Holz
23,5 x 35,5 cm
Museum Langmatt, Baden
Inv.-Nr. 126

Im Gegenlicht wundervoll hinterleuchtet wölben sich Baumkronen und Gebüsch zu einem hell- und dunkelgrün changierenden, wild bewegten «Wolkenmeer». Rund die Hälfte des Bildes nimmt das pflanzliche Gewebe ein, ohne dass man einzelne Bäume identifizieren könnte. Dunkel verschattete und lichtdurchflutete Partien wechseln sich ab. Aus der Ferne entfaltet sich eine perfekte räumliche Illusion mit bemerkenswert plastischen Wirkungen, um aus der Nähe betrachtet in erstaunlicher Abstraktion zu entschwinden. Die Fassaden des Chigi-Palasts zur Linken, der Kirche Santa Maria Assunta – 1662 bis 1664 nach Plänen von Gian Lorenzo Bernini errichtet – und benachbarter Gebäude zur Rechten sind betont flächig gehalten. Graue und schwarze Pinselstriche deuten Fenster an. Häuser, Dächer, Wände und Fenster verschmelzen zu einem fast einheitlichen Gebäudesaum, welcher der geschwungenen Topografie folgt und sie zusätzlich akzentuiert. Eine ausgefeilte kompositorische Dramaturgie organisiert die Proportionen der Gebäudesilhouette und des bewegten Grüns spannungsvoll im Bildformat. Die erhöhte Position wirkt sich als Geste sanfter Überhöhung aus.

Hell und Dunkel sind die an sich unspektakulären bildnerischen Mittel, die Corot bei seiner Landschaftsstudie wirkungsvoll einsetzt. Nicht der im Bildtitel erwähnte Chigi-Palast, sondern der namenlose, vorgelagerte Wald ist der eigentliche «Bildheld». Während der Palast mit der Silhouette von Ariccia organisch verschmolzen ist, verwandelt sich der Wald in wilde Wogen: Die Baumkronen fangen mit ihren äusseren Rändern das gleissende Sonnenlicht ein und bilden wie auf einer Theaterbühne ein bewegtes Auf und Nieder, als wäre ein schemenhaftes Tanztheater im Gang. Würde die Sonne parallel zu unseren Blicken in den Wald fallen, wären die Helldunkelkontraste verschwunden und das Grün läge müde und wenig akzentuiert vor uns.

1827 hielt sich Camille Corot das zweite Mal bei Ariccia auf, um im Freien Ölstudien zu schaffen. Wie so viele Künstler seiner Epoche war er nach Rom gezogen, um von dort in die unmittelbare Umgebung auszuschwärmen auf der Suche nach südlicher Natur und geheimnisvollen Altertümern. Ariccia befindet sich in der Provinz Latium, rund 26 Kilometer südöstlich von Rom in vulkanischem Gebiet, eingebettet zwischen den Kraterseen Lago Albano und Lago dei Nemi. An der berühmten, 312 v.Chr. begonnenen Via Appia gelegen, zählte Ariccia zu den ältesten Städten Latiums und war zeitweise sogar ein ernster Rivale Roms.

Markus Stegmann in: «Herzkammer», Museum Langmatt 2020