26.4. – 29.11.2015

Feminine Futures – The Membrane of the Dream I & The Membrane of the Real I

THE MEMBRANE OF THE REAL I

Im Rahmen von The Membrane of the Real hat Christopher Füllemann im Park des Museums zehn neue, bewegliche Werke geschaffen, die im Zusammenhang mit der Familie Brown-Sulzer und der Geschichte der Sammlung Langmatt stehen. Die Skulpturen wecken beim Publikum verschiedene Assoziationen, lassen beispielsweise an Objekte und Gebäude des deutschen Keramikers und Architekten Max Laeugner (1864 – 1952) denken. Immer wieder bezieht sich der Künstler auch auf die griechische Antike und nimmt mit einer neuen Nike von Samothrake Bezug auf die Mythologie. Durch sein Spiel mit multiplen Referenzen hat sich Christopher Füllemann in situ auf vielgestaltige Weise der Skulptur als Denkmal angenähert. Ob der Künstler einen Sockel verwandelt, mit einer Palme krönt oder mit einem Velum verhüllt, stets knüpft er humorvoll an Wissen und Formgebung der Antike an. Auf gleiche Weise geht er vor, wenn er Würste an Angelhaken hängt und so Referenzen sammelt, Materialien anhäuft und, einem Tänzer gleich, mit den Betrachtenden spielt.

Das Museum Langmatt präsentierte im Untergeschoss das Video Salomania (2009) von Pauline Boudry und Renate Lorenz. Der Film setzt die Sammlung der Villa Langmatt in Relation zum Werk von Adrien Sina, indem er einerseits Assoziationen an unterschiedliche Epochen weckt, andererseits generationenübergreifende Beziehungen zwischen Künstlern, Tänzerinnen und Tänzern im Laufe des 20. und 21. Jahrhunderts knüpft. Zwischen den Künstlerinnen Wu Ingrid Tsang und Yvonne Rainer kommt es zur Weitergabe von Wissen, wobei der Tanz die Wandlung einer Bewegung zum Ausdruck bringt. Auf einer weiteren Ebene rekonstruiert Salomania einen berühmten Tanz: Den Tanz der Sieben Schleier aus dem Stummfilm Salomé von Alla Nazimova aus dem Jahr 1923. Gezeigt werden auch Ausschnitte aus Valda’s Solo, das die Choreographin und Filmemacherin Yvonne Rainer 1973 entwarf, nachdem sie Nazimovas Film gesehen hatte. Die Installation beschäftigt sich mit Salomé als einer Transgender-Figur mit dem Motiv einer «queeren» Aneignung des Exotischen. PerformerInnen sind Wu Ingrid Tsang und Yvonne Rainer. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es eine Welle der Begeisterung für die Figur der Salomé, die bald den Namen Salomania erhielt. Frauen trafen sich und imitierten den Tanz der Sieben Schleier. Eine Reihe von Tänzerinnen wurde mit Darstellungen der Salomé berühmt. Die Figur der Salomé stand für unternehmerische Unabhängigkeit und sexuelle Freiheit und wurde zu einer Ikone «sodomitischer» Subjektivität.


THE MEMBRANE OF THE DREAM I

Feminine Futures ist eine Produktion von Le Consortium, Dijon, in Zusammenarbeit mit dem Museum Langmatt. Unter dem Titel The Membrane of the Dream wurde im ersten Stock der Langmatt die aussergewöhnliche Sammlung von Adrien Sina gezeigt, ergänzt um zahlreiche weitere Leihgaben. In seiner Funktion als Künstler wie Kurator hat Adrien Sina seine unter dem Titel Feminine Futures geführten Forschungen rund um überraschende Konstellationen von Quellen geordnet, bestehend aus Originalfotografien, handgeschriebenen Briefen, Zeichnungen, Manifesten, Programmen und Erstausgaben. Mittels innovativer Forschungsansätze bringt diese Sammlung die Epoche vom Ende des 19. bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Öffentlichkeit näher. Im Mittelpunkt stehen der französische und italienische Futurismus, die abstrakte Kunst, das Ensemble Ballets Russes, der europäische und amerikanische Expressionismus u.a. Jetzt, da das Museum die Schriftstücke inventarisiert, die der Gründung dieser Institution zugrunde liegen, soll zwischen der Sammlung und den temporären Ausstellungen unterschieden werden, um die Epoche, in der die Villa und die Sammlung entstanden, anschaulicher zu vermitteln.

Während seines Aufenthalts 1872 in Basel bezieht sich Friedrich Nietzsche für seine Publikation Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik auf die griechische Antike. Auf diese Weise kristallisiert er die zwei wesentlichen Konzepte künstlerischer Arbeit heraus: das Dionysische und das Apollinische als Pole des griechischen Lebens. Er führt eine visuelle und eine rationale Annäherung ein, der die urtümliche Kraft gegenübersteht, die dem Tanz und der Musik innewohnt. Anhand dieser Unterscheidung lassen sich die Impressionisten im Erdgeschoss und die Geschichte der Bewegung und des Tanzes im ersten Stockwerk des Museums Langmatt neu entdecken. Mit der Spanisch-Brötli-Bahn erhält Baden 1847 als erste Stadt der Schweiz einen Bahnhof und damit den Ausgangspunkt der ersten Eisenbahnverbindung überhaupt. Angeschlossen an dieses neue, in rascher Ausbreitung begriffene Verkehrsnetz ist Baden direkt mit den grossen Metropolen und der aufstrebenden Marktwirtschaft verbunden. Dadurch hält eine neue Geschwindigkeit Einzug, die dank revolutionärer Fahrzeuge – Strassenbahn, Automobil, Zug – den Menschen neue körperliche Erfahrungen eröffnet. Zur gleichen Zeit, ab 1895, erfinden die Brüder Lumière den ersten Kinematographen. Spektakuläre Bilder fangen die Bewegung auf Film ein, so insbesondere im Werk Die Ankunft eines Zuges auf dem Bahnhof in La Ciotat. Oder auch in zahlreichen Tanzfilmen, wie dies Annie Suquet in L’éveil des modernités (Das Erwachen der Neuartigkeiten) schildert: Die Kamera wird, ebenso wie das Auge des nunmehr mechanisierten Reisenden, zum Zeugen des «Tanzes» der vorbeigleitenden Landschaft. Diese Mobilität und unsichtbare, neue Phänomene wie Elektrizität, Energie oder Schwingungen kommen in den spannungsgeladenen Tänzen von Loïe Fuller ebenso zum Ausdruck wie in den mechanischen Balletten oder gewissen futuristischen Licht-Spielen.

An der Weltausstellung 1900 in Paris, der «Stadt der Lichter», kann die damalige BBC (Brown Boveri & Cie.) dank eines der frühen Elektrizitätswerke ihre ersten Turbinen vorstellen. Zur gleichen Zeit errichtet Loïe Fuller ihr Musiktheater, in das sie Persönlichkeiten aus aller Welt zum Tanz einlädt und wo sie ihre feministischen Ideen präsentiert. Mit Isadora Duncan, die sich für die Rückkehr zur griechischen Antike stark macht, um die «natürlichen» Veranlagungen des Körpers wiederzuentdecken, oder mit Rudolf von Laban, der bereits bei seinem Besuch der Weltausstellung vor «diesem roboterähnlichen Treiben» warnte, entsteht parallel dazu eine Widerstandsbewegung gegen den technologischen Modernismus, wozu auch die Geschichte des Monte Verità gehört. Suzanne Perrottet, Anne Denzler Duncan, Sophie Taeuber-Arp oder Mary Wigman und Rudolf von Laban sowie Harald Kreutzberg in Bern werden mit den von ihnen begründeten Tanzschulen Teil einer Geschichte, welche die Schweiz zur kreativen Plattform und Drehscheibe macht, wo avantgardistische Strömungen einander begegnen und sich befruchten. Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts beginnt die Geschichte der weiblichen Avantgarde, die sich mit ihrer Körperlichkeit, ihrem Tanz oder ihren Performances unabhängig von den damals vorherrschenden Kunstströmungen einen Namen macht. Anstelle der sublimierten weiblichen Figur, entweder in symbolistisch literarischen Wunschvorstellungen idealisiert oder im Gegenteil durch die Anfänge der Psychoanalyse als hysterisch dargestellt, tritt Anfang des 20. Jahrhunderts eine bislang unerreichte Dimension der Freiheit auf. In dem Masse, in dem die Frauen ihre Modernität in die eigene Hand nehmen und multiple Hypothesen der Frau der Zukunft erfinden, eröffnet sich der Bildenden Kunst die Perspektive einer radikalen Überschreitung zugunsten einer Handlung mit dem Körper, der als eigenständiges Kunst-werk betrachtet wird.